Heinrich Dyck

 Name  Dyck  sample image  
 Vorname  Heinrich  
 Geboren    
     
 Geboren  10.09.1928  
 Gestorben  27.03.2010  
     
 Ort  Bremerhaven  
 Friedhof  Friedhof Geestemünde  
 Datum  01.04.2010  
     
 Redner  Uwe Peters  
 Bestatter  Bestattungsinstitut Koop  
 Homepage    

 

Liebe Freunde
des verstorbenen

Heinrich Dyck

Wir wollen in dieser Trauerfeier von dem Verstorbenen Abschied nehmen und seiner noch einmal gemeinsam würdigend gedenken.

Teil 1: Hilfe für die Hinterbliebenen

Sie haben die Anzeige in der Zeitung überschreiben lassen mit dem kurzen Satz:

Sterben kann auch Erlösung sein.

1999 starb Herbert Grönemeyers Frau Anna und im selben Jahr auch ein Bruder.

Er dichtete und sang unter dem Titel: Der Weg, das Lied:
Das Leben ist nicht fair.

Anlässlich des Todes seines Sohnes Peter am 02.04.1998 hatte ich einige persönliche Gespräche mit dem Verstorbenen. Es war für mich unglaublich schwer, eine Ebene zu finden, auf der wir uns verständigen konnten. Er war so verbittert und völlig unzugänglich für Mitmenschlichkeit, Wärme, Anteilnahme und Zuwendung. Ich versuchte meine Tür für ihn offen zu halten, aber mein Angebot war so erschreckend für ihn, dass er sich schnell in sein Schneckenhaus zurückgezogen hat.

Heute weiß ich, dass genau mein Angebot die Erfahrungen einer Welt für ihn waren, die er nie kennen gelernt hat. Dieses Angebot musste ihn nur erschrecken.

Er hatte lebenslang das erlebt, was Grönemeyer „nur“ im Jahr 1999 erleben musste. Das Leben war niemals fair zu dem Verstorbenen.

Schauen wir hinein in seine Geschichte:

Seine Geschichte beginnt lange vor seiner Geschichte. 1789 zogen 228 Familien – die mennonitischen Glaubens waren und in Danzig wegen ihrer Religion unterdrückt wurden, auf Einladung der Zarin Katharina II den Dnjepr hinunter bis zur Insel Chortitza. Am Ufer des Dnjepr wurde ihnen Land zugewiesen und sie gründeten die Kolonie Chortitza nach der gleichnamigen Insel im Fluss. Im Laufe der nächsten 17 Jahre kamen 173 nach, sodass ca. 400 Familien in der Kolonie aus Westpreußen angekommen sind.

Sie bekamen 65 Desjatinen freies Land für jede Familie und Religionsfreiheit. Befreiung vom Wehrdienst wurde ihnen zugesichert. Der Glaube der Mennoniten verbietet ihnen den Dienst an der Waffe.

Die inzwischen 1000 jährige Eiche, unter der die ersten Siedler Rast machten, als sie dort ankamen, steht heute noch dort.

Im Laufe der Zeit wurden 21 neue Dörfer in der Umgebung gegründet, von denen 9 Dörfer auf das Jahr 1789 zurück sehen. Dazu gehört auch das Dorf „Insel Choritza“.

Im Ort Choritza habe ich laut Siedlungsplan 7 Grundstücke mit Häusern auf den Namen Dyck gefunden.

Die Schwester des Verstorbenen, die um ihren Bruder trauert, wird genau wissen, in welchem Dyck`schen Haus und Grundstück der Verstorbene am 10. September 1928 das Licht der Welt erblickt hat.

Seine Schwester Maria (Marichen) kam wenige Jahre später zur Welt.

Die heile Welt der Mennoniten hatte es auch in den Familien Dyck zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Juden hatten sich in Choritza angesiedelt und auch Russen waren gekommen. Die beiderseitigen Großeltern des Verstorbenen waren im Getreidehandel aktiv und als bildungsbeflissene Leute versuchten sie ihre Kinder für Wissen und Bildung zu begeistern, was diese an den Verstorbenen und seine jüngere Schwester weitergaben.

Doch dann passierte das, was unser Thema heute sein muss: Das Leben ist nicht fair!
Der Verstorbene erkrankte in seiner Vorschulzeit an einem Tumor, welcher ihm die Speiseröhre zudrückte. Er konnte nichts mehr essen. Die künstliche Ernährung steckte in den Anfängen und die behandelnden Ärzte wussten keinen anderen Rat, als ihn über den Darmausgang zu ernähren.

Endlich bekamen sie diese schreckliche Erkrankung in den Griff und dann machte sich die stalinistische Kollektivierung bemerkbar. Diese Zeit ist in die Geschichtsbücher als Kulaken-sterben eingegangen.

Vater Dyck konnte die Familie nur noch ernähren, wenn er Arbeit auf der Kolchose bekam. Er hatte Glück und bekam Arbeit, etwa 40 km von zu Hause entfernt. Natürlich konnte er nicht regelmäßig zu Hause sein.

Zu den etwa 1,5 Millionen Menschen in der Sowjetunion, die durch die große Säuberung in den Jahren 1936 – 1938 umgebracht wurden, gehörte auch der Vater des Verstorbenen. Nachts wurden die Häuser gestürmt und die Verhaftungen vorgenommen. Vater Dyck war nicht da. Er arbeitete auf der Kolchose. Er kam nie wieder.

Die Mutter war schon erkrankt und musste nun die Kinder alleine durchbringen. Alle Männer und auch alle Familienväter waren aus Choritza verschwunden. Die Frauen, die selber mit ihren Kindern ums Überleben kämpften, taten sich zusammen und von Tag zu Tag wurde eine andere Frau ausgeguckt, die der kranken Mutter Dyck und ihren beiden Kinder Mittag brachte. Manchmal wurde das vergessen…

In allen diesen Elendsjahren war und blieb der Verstorbene ein Superschüler. Er war ein heller Kopf und sehr klug. Durch seine überstandene Speiseröhrenerkrankung war er nicht der stärkste Junge geworden und auch  kein Draufgängermodell. Seine kleinere Schwester entwickelte stattdessen Wesenszüge und hat sich oft auf seine Seite geschlagen.

1943 hatte die deutsche Front Choritza überrollt und die „Volksdeutschen“, wie es damals hieß, waren zwangsweise Deutsche mit einem russischen Pass. Der Verstorbene wurde nach seinem Schulabschluss von der NAPOLA in Kiew übernommen, weil er Lehrer werden wollte. Das waren Internatsoberschulen die zur Hochschulreife führten.

Nach dem Rückzug der Front wurde seine Schule nach Lemberg verlegt. Doch mit Schule wurde nicht mehr viel draus, denn die Jungen wurden in Uniformen gesteckt und mussten den Ostwall bauen.
1944 wurde er dem Sicherheitsdienst (SD) des Reiches unterstellt.

In Wittenberge kam er in US-Gefangenschaft und weil er noch so jung war, konnte er das Lager tagsüber verlassen. Eines Nachts blieb er bei seinen Freunden. Als er am nächsten Tag ins Lager kam, war es leer. Die Amerikaner hatten sich zurückgezogen und Wittenberge den Russen überlassen.

Die Russen nahmen ihn gefangen und machten ihm den Prozess als Sowjetbürger mit russischem Pass in deutscher Uniform. Die Todesstrafe war eine Minutensache. Er kam in die Todeszelle und erlebte 2 Jahre lang die Folter in allen Schattierungen. Dazu gehörten auch Scheinerschießungen mit dem Trommelrevolver an seiner Schläfe, und er erlebte, wie alle anderen aus seiner Gruppe erschossen wurden. Bei ihm hatte ein russischer Jurist herausgefunden, dass das Urteil ungültig war, denn er war noch keine 18.

Es wurde neu verhandelt mit dem revidierten Urteil: 25 Jahre Straflager in Sibirien.

Er wurde nach Workuta verfrachtet, im Zentrum des riesigen Kohlebeckens nördlich des Polarkreises. Alleine 4000 deutsche Häftlinge arbeiteten dort unter Tage. Auch der Verstorbene.

Nach Stalins Tod kam es am 30. Juni 1953 zum ersten Streik in einem der Kohleschächte. Innerhalb von 4 Wochen streiken 15 604 Gefangene. Der Verstorbene mittendrin.

Nach vielen Toten gab es neue Verhandlungen mit der Regierung. Die elenden Verhältnisse besserten sich.
1956 holte Adenauer die letzten deutschen Gefangenen zurück nach Deutschland. Dabei ist auch Hein Dyck, wie er überall genannt wird.
Ein Kollege in Workuta gab ihm eine deutsche Adresse, die er angeben konnte. Dorthin schrieb er. Die Deutschen gaben seinen Namen an das DRK. Das DRK gab seinen Namen an die Regierung weiter. So kam er in den Heimattransport nach Deutschland.

Das Lager Friedland vermittelte ihn nach Bochum zur Arbeit in die Kohlenzechen. Aber das wollte er nun doch nicht mehr. Damit hatte er seine Jugendjahre verbracht und verarbeitet.

Ein Bekannter erzählte ihm von der Seefahrt und von der Fischerei und davon, dass in Bremerhaven in der Fischerei Arbeit für ihn wäre. In der Zeit von 1957 bis 1967 ist er als Fischwerker zur See gefahren und zuletzt als Netzmacher.

Ein Unfall an Bord brach ihm ein Bein und er beschloss weiterhin an Land zu arbeiten. Im Fischereihafen arbeitete er alle anfallende Arbeit ab, als Löscher, als Fischverarbeiter, als Gabelstaplerfahrer und als Expedient. 1995 ging er in den wohlverdienten Ruhestand.

Seine Mutter war 1942 verstorben. Er war gerade 14 Jahre alt. Seinen Vater hatte er schon als Zehnjähriger verloren. Wer sollte ihm beibringen, wie man Beziehungen zu Frauen aufbaut? Die russischen Kohleflöze? Von alleine lernt man so etwas nicht.

Im Hamburger Rotlichtviertel lernte er Sonja kennen und lieben. Sonja und der Verstorbene blieben dennoch länger als die übliche Ehezeit von vier Jahren zusammen.
Nach der Zeit mit Sonja verband er sich mit deren Freundin Nina. Er liebte Kinder. er wollte auch für eigene Kinder sorgen. Er wollte Kindern eine bessere Zeit schenken, als er sie gehabt hatte. Mit Nina klappte es und der Sohn Peter Glienka wurde am 26.12.1967 geboren.

Das mennonitische geistige und soziale Erbe seiner Vorfahren war in ihm in Resten immer noch lebendig. Bei den Mennoniten ist absolutes Vertrauen eine der wichtigsten Tugenden. Die Chortitza-Mennoniten hatten ihn und seine Schwester nicht verhungern lassen. Man hatte zueinander gestanden und sich gegenseitig unterstützt. So ungefähr wollte er leben.

Mit Nina übernahm er Ende der 60er Jahre die Gaststätte am Wulsdorfer Bahnhof. Juristisch abgesichert wurde alles auf den Namen seiner Nina.

Der Betrieb lief gut an und 1973 kaufte er das kleine Haus am Westermannsgang 9. Das Haus war vermietet und blieb vermietet.

Er war ein guter Gast in Nina`s Betrieb und irgendwann zog Nina die Notbremse. Sie behielt die volle Verantwortung für Peter und alle Investitionen hatten ihr schon gehört. Das war für Hein Dyck aber nicht wichtig. Wichtig für ihn war der Kontakt zu seinem Peter.

Im Zuge seiner Alkoholerkrankung und der Aussichtslosigkeit seines Lebens, beschloss er mehr als einmal, alles soll nun für immer zu Ende sein. Aber es war nicht zu Ende.

1978 bekam er endlich die Kurve und gab das Saufen und auch das Rauchen auf.
1990 zog er in sein eigenes Haus am Westermannsgang. Bei seiner schwierigen Kindheit hatte er nie gelernt, mit seinen eigenen Sachen geordnet umzugehen. Und Eingeweihte, so wie ich, wissen, wie es in der Fischerei zugegangen ist. Mit einem geordneten Haushalt war er einfach überfordert. So blieb es bis zu seinem Tode.

Aber sein Peter hatte die Fähigkeit, Freunde zu finden und zu gewinnen. Einer dieser Freunde ist Ingolf Winter.

Ingolf und seine Angi arbeiteten sich Stück für Stück aus der Schattenseite des Lebens heraus und das imponierte dem Verstorbenen. Die beiden hatten zusätzlich einen großen Vorteil, sie haben Kinder.

Nach Peters Tod am 02.04.1998 vertieften sich die Beziehungen des Verstorbenen zu der jungen Familie. Peters Tod war wieder unter anderem eine Verkettung unglücklicher Umstände durch staatliche Einrichtungen. Wieder traf ihn Leid und Tod unter staatlicher Mithilfe.
Yannik ist inzwischen 18 geworden, Yassier ist auch schon 16. Syla, das einzige Mädchen ist stolze 12 Jahre alt und der jüngste Sohn Yngve ist auch schon 11 Jahre und weiß noch gar nicht so richtig, dass eben gerade seine Jugendlichkeit als letztes Kind in der Geschwisterreihe ihm die ganz großen Sympathien von Ursus einbrachten.

In der Familie Winter war er nur der „Ursus“, was lateinisch „Bär“ heißt. Brummelig und introvertiert war er ja und sagen ließ er sich auch nichts, eben ein richtiger Bär.

Alle Kinder gingen freiwillig, gerne und mit Begeisterung zu dem brummigen Bären. Sie fanden bei ihm eine Eigenschaft, die in unserer modernen Welt immer mehr verloren geht, nämlich seine absolute Ehrlichkeit.

Erfahrene Wissenschaftler, die sich mit Kindern beschäftigen, sagen es uns immer wieder, dass Kinder alle Vorfälle des Lebens, so schwer sie auch sein mögen, verarbeiten, nur eine Sache niemals, wenn man sie belügt.
Die Grundlage des Zusammenlebens der Mennoniten in Chortiza war Vertrauen, was nur durch dauernde Ehrlichkeit entstehen kann. Auch wenn er kein Christ wurde, aber Vertrauen blieb seine Lebensgrundlage.

Als sein Peter starb, war das nicht nur der Tod seines Sohnes, sondern sein restliches Vertrauen in diese Welt, welches er sich trotz seiner entsetzlichen Lebenserfahrungen immer bewahrt hatte, zerbrach nun gänzlich.

Er verbitterte und wurde unleidlich. Nur die Kinder hellten ihn auf. Mit den Kindern hat er sich niemals überworfen. Die Kinder unterstützte er und tat alles für sie.

Einen weiteren Todestag seines geliebten Peters wollte er nun nicht mehr überleben. Der 02.04. wurde für ihn ein inneres Ziel. Bis dahin wollte er tot sein.
Er tat das, was die überalterten Menschen bei den Naturvölkern alle tun, wenn sie meinen, dass es Zeit wäre zum Sterben: Sie essen nichts mehr. Und wenn das alleine nicht hilft, dann trinken sie auch nichts mehr.

Angi und ihr Mann Ingolf mussten den Verfall mit ansehen und konnten doch so wenig tun, denn als Kind hatte er schon seinen Dickkopf intensiv eingeübt. Doch dann gelang es ihnen, ihn doch noch ins Krankenhaus zu bringen.

Zwei Tage später, am 27.03.2010 erfüllte sich sein sehnlichster Wunsch und sein Herz hörte für immer auf zu schlagen.

Teil III Abschied
.Wir müssen Abschied nehmen.

Dazu ist es notwendig, dass Sie alle Ihren Frieden mit dem Verstorbenen machen.

Während Sie das so still bei sich selbst entscheiden, werde ich dem Verstorbenen einen Text aus den Gedichten von Carl Weitbrecht widmen:

 

Wenn ich Abschied nehme,
will ich leise gehen,
keine Hand mehr drücken,
nimmer rückwärts sehn.

In dem lauten Saale
denkt mir keiner nach,
dankt mir keine Seele,
was die meine sprach.

Morgendämmrung weht mir
draußen um das Haupt,
und sie kommt, die Sonne,
der ich doch geglaubt.

Lärmt bei euren Lampen
und vergesst mich schnell!
Lösche, meine Lampe!
Bald ist alles hell.

Nachdem wir unseren letzten gemeinsamen Weg mit dem Verstorbenen gegangen sind, betten wir nun

Heinrich Dyck, der am 10.09.1928 zu uns in diese Welt gekommen ist und uns am 27.03.2010 für immer wieder verlassen, zu seiner letzten Ruhe.
Er ist dorthin zurückgekehrt, woher er vor 81 Jahren zu uns in diese Welt gekommen ist.

Wir wollen nicht klagen, weil wir ihn verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir ihn unter uns hatten.

Ruhe in Frieden.

 

verstorbene