Lieber Herr NN,
liebe Angehörigen und Freunde
des Verstorbenen NN
Der Tod der Verstorbenen hat uns hier zu dieser feierlichen und besinnlichen Stunde zusammengeführt.
Drei Schwerpunkte haben wir miteinander zu bearbeiten, zu denen wir sonst nie Zeit und Gelegenheit finden und die doch unendlich wichtig für uns alle sind.
Unser erster Themenschwerpunkt bezieht sich auf die grundsätzlichen Fragen nach Leben und Tod.
Lucius Seneca (4 vor Chr. – 65. n. Chr.), ein Zeitgenosse Jesu, wenn man den Theologen glauben darf, hat ein ganzes Buch geschrieben und den Titel gewählt:
Von glückseligen Leben
Es ist schon erstaunlich, dass er in diesem Buch eine längere Abhandlung über den Tod aufgeschrieben hat. Viele Menschen heute sind der Auffassung, dass ein glückseliges Leben und ein Nachdenken über Sterben und Tod nicht zusammen passen würde.
Ungeschriebene Gesetze machen uns nachdrücklich klar, dass man in einer Trauerfeier keine Witze machen darf und bei geselligen Feiern sich zwar betrinken kann ohne Ende, aber niemals über Sterben und Tod reden darf.
Bei Seneca ist das alles anders. Er schreibt in seinem Buch über das glückselige Leben eine lange Passage über den Tod. Daraus lese ich einen kurzen Absatz vor:
„Der Tod bedeutet Nichtsein. Was dies ist, weiß ich schon. Dies wird der Zustand nach meiner Existenz sein, wie er schon vor meiner Existenz gewesen ist.
Wenn darin etwas Schlimmes liegt, so muss es auch darin gelegen haben, ehe wir das Licht der Welt erblickten. Doch wir haben damals keinen Schmerz gefühlt.
Wäre es nicht töricht, glauben zu wollen, es sei schlimmer für die Lampe, wenn sie erloschen ist, als bevor sie angezündet wird?
Auch wir werden angezündet und erlöschen wieder; in der Zwischenzeit empfinden wir Schmerz, vorher und nachher aber ist tiefe Ruhe.“
Zunächst fragen wir, warum macht er das? Warum schreibt er in einem Buch über das glückselige Leben ein Kapitel über Sterben und Tod?
Muss das überhaupt so sein?
Ich behaupte, das muss so sein, weil nämlich der Umgang mit Sterben und Tod der Schlüssel zu einem glückseligen Leben ist.
Man kann kein glückseliges Leben führen, wenn die Sache mit Sterben und Tod nicht geklärt ist.
Das hängt damit zusammen, weil Sterben und Tod jedermann gewiss ist und deshalb zugleich auch die mächtigste Angst im Menschen erzeugt.
Wenn wir ständig eine verdrängte und unterschwellige Angst in uns tragen, dann ist jede Fröhlichkeit nur gekünstelt und Schauspielerei.
Erst dann, wenn wir keine Angst mehr haben, können wir wirklich lachen und hemmungslos fröhlich sein. Es gibt sehr wohl eine deutliche Unterscheidung zwischen den entfremdeten Formen eines nur scheinbaren Glücks und den befreiten und befreienden Formen der Freude und des Lachens.
So lange Angst in uns ist, sind wir nicht zu Freude und zum Glück befreit. Beides – Angst und Freude -funktioniert nicht zugleich in einem Körper.
Deshalb ist es auch für Seneca völlig klar und einsichtig, dass er in seinem Buch die entscheidende Angst der Menschen ansprechen muss. Sein glückseliges Leben bricht wie ein Kartenhaus zusammen, wenn er die Sache mit Sterben und Tod nicht ein für alle Mal klärt.
Und er klärt den ganzen Sachverhalt mit ganz einfachen Wörtern, die jedermann verstehen kann.
Deshalb will ich mich auch nicht an eine Erklärung dieses glasklaren Textes heran wagen. Ich kann das alles mit vielen Wörtern höchstens nur noch unklarer machen.
Aber ich möchte noch auf etwas anderes hinweisen:
Zu der Zeit des Seneca gab es eine sehr lebendige und immer noch jahrtausend alte ägyptische religiöse Tradition, in der der Zustand nach dem Tod zum wichtigsten Teil des Lebens erklärt wurde. Dazu hatten die alten Ägypter auch schon 2000 Jahre vor Seneca die Seele erfunden.
Nein, das was Seneca aufgeschrieben hat, war wirklich nicht allgemeiner Glaube, sondern es waren diese alten Mythen aus Ägypten. Senecas Zeitgenossen waren genau so abergläubig wie unsere Zeitgenossen heute. Jene Leute, die seine Schriften lasen und ähnlich dachten wie er, waren nicht die Mehrheit der Römer damals.
Deshalb wollen wir uns heute auch nicht davon irre und ängstlich machen lassen, dass viele Leute mit seltsamen Zweifeln unbestreitbare Tatsachen ableugnen und dafür abenteuerliche Dinge glauben wollen.
Seneca hat uns mit klaren Sätzen von allen unklaren und unausgesprochenen Ängsten und Besorgnissen befreit. Wenn der Kopf klar ist, verliert der Tod seinen Schrecken.
Für Sie als Hinterbliebene sieht die Sache völlig anders aus. Sie haben den Kopf voller Erinnerungen. In Ihrem Kopf ist die Verstorbene noch ganz lebendig. In Ihrem Kopf kann sie auch gar nicht sterben. Sie kann im Laufe der Jahre in Ihrer Erinnerung mehr und mehr verblassen, aber niemals sterben.
Deshalb müssen wir uns genau dieser Erinnerung zuwenden und sie so gestalten, dass in Ihnen ein schönes, helfendes und tröstliches Bild entsteht. Zukunft braucht Vergangenheit, braucht Herkunft und hat ihr Fundament im Gedächtnis und in der Erinnerung.
Deshalb wollen wir die Zukunft so gestalten, dass die Herkunft und Vergangenheit an dem Ort lebendig und hilfreich bleibt, wo sie nach Übereinstimmung aller Menschen unsterblich ist, in Ihrem Kopf.
Unser zweiter Themenschwerpunkt bezieht sich auf das Leben der Verstorbenen.
(Es folgt der Lebenslauf der Verstorbenen mit den biografischen Daten (dem Gedächtnis) gemischt mit den Erinnerungen (den subjektiven Einfärbungen).
Abschied
Nachdem wir mit Hilfe des Textes von Seneca das Gespenst des Todes entzaubert haben und den Tod zu einem notwendigen und selbstverständlichen Abschluss des Leben gemacht haben, und in unserem zweiten Teil das Leben der Verstorbenen gewürdigt haben, wollen wir durch einen inneren Entschluss das eben Besprochene für unsere Zukunft fest machen und damit unsere dritte Aufgabe erfüllen.
Die gebräuchliche Formel in den Trauerfeiern heißt so oder ähnlich:
Wir sind nun aufgefordert unseren Frieden mit dem Leben und Tod der Verstorbenen zu machen.
Während Sie das so still bei sich bedenken, werde ich der Verstorbenen einen Text aus den Gedichten von dem Theologen David Friedrich Strauß widmen:
Letzter Hauch
Wem ich dies klage,
weiß, ich klage nicht;
der ich dies sage,
fühlt, ich zage nicht.
Heute heißt`s verglimmen,
wie ein Licht verglimmt,
in der Luft verschwimmen,
wie ein Ton verschwimmt.
Möge schwach wie immer,
aber hell und rein,
dieser letzte Schimmer,
dieser Ton nun sein.
Wir verabschieden uns hier in der Kapelle von der Verstorbenen, weil sie eingeäschert werden soll:
NN, ist am XXX geboren und am XXX für immer von uns gegangen.
Wir wollen nicht klagen, weil wir sie verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir sie unter uns hatten.
Ruhe in Frieden
© Uwe Peters