Theodor Storm

Gespeichert von admin am Mi., 30.09.2015 - 23:53

Lieber Herr NN,

liebe Angehörigen und Freunde

des Verstorbenen NN

Wir wollen hier in einer würdigen und feierlichen Form von der Verstorbenen endgültigen Abschied nehmen und ihrer noch einmal in Dankbarkeit und Ehrfurcht vor ihrem Leben gedenken.

 „Eine Beziehung aufnehmen, kann jeder Dummkopf. Aber sie erfolgreich zu beenden, dazu bedarf es einer große Kunst,“ sagt ein bekanntes Sprichwort.

Nur weil der andere durch den Tod von uns gegangen ist und nicht mehr da ist, ist der Abschied in keiner Weise vollzogen oder erledigt. Der Tod der Verstorbenen muss bedacht und durchgearbeitet werden.

Deshalb sind wir hier zusammengekommen.

Deshalb wollen wir darüber reden.

Deshalb möchte ich den Abschied mit Ihnen thematisieren an Hand eines Mannes, der sich mit Abschiednehmen auskannte: Theodor Storm.

Die Zeit ist hin, du löst dich unbewusst
und leise mehr und mehr von meiner Brust.
Ich suche dich mit sanftem Druck zu fassen,
doch fühl ich wohl, ich muss dich gehen lassen.

So lass mich denn, bevor du weit von mir
im Leben gehst, noch einmal danken dir.
Und magst du nie, was rettungslos vergangen,

in schlummerlosen Nächten heimverlangen.

Hier steh ich nun und schaue bang zurück,
vorüber rinnt auch dieser Augenblick.
Und wieviel Stunden dir und mir gegeben,

wir werden keine mehr zusammen leben.

Theodor Storm, der dieses Gedicht geschrieben hat, ist ein alter schleswig-holsteinischer Heimatdichter gewesen, der im 19ten Jahrhundert meistens in Husum lebte.

Durch die politischen Unruhen wurde er vertrieben und lebte lange Zeit im Ausland, in Preußen, bis er endlich wieder in seine Heimat zurück konnte.

Abschiednehmen ist somit zu einem wichtigen Thema seines Lebens geworden. Er musste auch viele Male persönlich schmerzvollen Abschied nehmen; denn Todesfälle suchten seine Familie heim.

Es ist ein Text voller Innigkeit und voll von einem realistischen und sachbezogenen Gefühl (so etwas gibt es tatsächlich!).

Ich denke, das, was Sie in diesen Tagen erlebt haben, ist das, was Theodor Storm hier beschreibt:

„...Du löst dich leise und unbewusst, mehr und mehr von meiner Brust...“

Natürlich kam der Tod der Verstorbenen – wie fast jeder Tod –überraschend.

Vor XX Tagen ist sie gestorben und in diesen Tagen ist in Ihnen eine ganz eigenartige Veränderung vor sich gegangen.

Vom zunächst sprachlosen Erstaunen haben Sie Tag für Tag die Veränderung in sich erlebt, bis hin zum relativ gefassten und alles strukturierenden Handeln heute.

Hier in der Trauerfeier vertieft sich der Schmerz über den Verlust und die innere Gewissheit ist nicht mehr abzuwenden, „...ich muss dich gehen lassen!"

Sie ist fertig gemacht für den letzten Weg, den man sie führen und bringen wird. Die Frau, die vieles in ihrem Leben selbst bestimmt hat, „mit ihr wird nun etwas gemacht!“

Alleine diese Tatsache, dass wir „etwas mit ihr machen“ ist eine radikale Umkehr ihres selbstbestimmten Lebensstiles und signalisiert uns, „das bin nicht mehr ich!“

Wir müssen sie gehen lassen. Unser letzter gemeinsamer Weg endet hier am Sarg. Alles weitere entzieht sich unserer Mitwirkung.

Und schließlich besinnt sich Theodor Storm und will eine Zusammenfassung finden. Er setzt gewissermaßen das Thema für eine Traueransprache.

Was ist das Wesentliche ihres Lebens, was bleibt aus unserer Zeit der Gemeinsamkeit?

Er fasst das so zusammen: „So lass mich denn,... noch einmal danken dir!“

Nein, die Kerzen, die Blumen, die Kränze und alle Feierlichkeit bringt sie uns nicht zurück. Sie können das auch gar nicht. Aber sie sind Ausdruck der Dankbarkeit.

Dieser primitive Satz: „Schenkt Blumen im Leben, am Grabe sind sie vergebens,“ ist ein Satz, der aus einem Nützlichkeitsdenken entstanden ist. Dieser Nützlichkeitsdenker, der diesen einfältigen Satz erfunden hat, hat niemals in seinem Herzen Dankbarkeit verspürt.

Das, was wir hier tun ist ein Ausdruck der Dankbarkeit. Sie bringen Ihre Ehrfurcht vor dem Leben der Verstorbenen und Ihre Dankbarkeit zum Ausdruck, auch wenn sie selbst es weder hört noch sieht.

Damit bekennen Sie sich zu ihr: „Ja, ich habe sie geliebt und bekenne mich zu ihr. Ich bin ihr dankbar für die gemeinsame Zeit.“

Weiter besinnt sich Theodor Storm auf das, was in dem zurückbleibenden Menschen selbst geschieht.

Er entschließt sich dazu, nach vorne zu schauen. Er will nicht die alte Zeit zurück haben, er weiß, dass sie rettungslos vergangen ist.

Er scheint uns zu sagen: „Ja, wir dürfen trauern und weinen, ja, wir dürfen voller Dankbarkeit uns erinnern. Ja, wir sollen uns intensiv erinnern.

Aber wir können die Zeit nicht aufhalten. Sie eilt unerbittlich weiter. Wir dürfen die alte Zeit nicht wiederholen wollen. Auch in den Nächten, in denen wir nicht schlafen können, sollen wir niemals die alte Zeit wieder herbeiwünschen.“

Das Leben noch einmal leben, das Leben als Wiederholung noch einmal aufwärmen und noch einmal die schönen Erlebnisse wiedererleben, raubt uns unsere kostbare Lebenszeit für neue Erlebnisse und Erfahrungen. Unser Leben ist von unserer Geburt bis zu unserem Tod eine durchgehende Premiere.

Nichts wiederholt sich. Nichts kann sich wiederholen. Und selbst das langweiligste Leben steht unter diesem Diktat der niemals aufhörenden Premiere.

Und dann kommt er im letzten Vers zum Abschied.

Das, was wir in ungezählten Trauerfeiern immer wieder mit konstanter Regelmäßigkeit einfordern müssen, ist, dass wir den Abschied in uns vollziehen.

Er scheint uns zu sagen: „Ich lasse die Gewissheit in mir zu, dass wir keine Stunde mehr zusammen leben werden. Ja, es ist so.

Auch wenn mir dabei sehr bange ist und ich tieftraurig bin. Dieser Augenblick der Entscheidung geht auch vorüber und von jetzt ab ist es klar, wir werden keine Stunde mehr zusammen leben.“

Das, was bleibt, ist Dankbarkeit, welche aus der Erinnerung erwächst. Je intensiver Sie in die Erinnerung eintauchen, um so faszinierender wird die Verstorbene mit allen ihren Licht- und Schattenseiten.

Haben Sie keine Angst vor den Schattenseiten. Rund um den Globus haben die Menschen die Kunst der Schattenspiele erfunden und sich daran erfreut.

Sie wissen wie das geht:

Vor Ihnen hängt eine helle Leinwand. Hinter der Leinwand ist eine Lichtquelle auf die Leinwand gerichtet. Alles, was sich zwischen der Lichtquelle und der Leinwand bewegt, wird auf der Leinwand – auf Ihrer Seite - als Schatten sichtbar.

Der Held wird als Schatten sichtbar, ebenso die böse Hexe. Der Liebhaber ist nur ein Schatten und selbst die zauberhafte Geliebte erscheint als Schatten.

Die Erinnerung der Lichtgestalt der Verstorbenen führt Sie genau so wie die Schattengestalt zur Dankbarkeit. Der geniale französiche Fotograf Jeanlop Sieff hat das so ähnlich formuliert: Das gesamte Leben ist der Umgang mit dem Licht und seinem Komplizen, dem Schatten.

Diese Dankbarkeit für das Licht und für den Schatten der Verstorbenen trägt Sie auch durch die kommenden schweren Monate hindurch.

Nun wollen wir dieses wunderschöne Beispiel an Hand des Lebenslaufes der Verstorbenen ganz konkret in uns vertiefen...

(Es folgt der Lebenslauf der Verstorbenen mit den biografischen Daten (dem Gedächtnis) gemischt mit den Erinnerungen (den subjektiven Einfärbungen).

Abschied

Nachdem wir den Abschied mit dem Text von Theodor Storm hell in uns gemacht haben, und nachdem wir alles konkret umgesetzt haben in dem wir das Leben der Verstorbenen noch einmal an unserem inneren Auge vorbeiziehen ließen, müssen wir nun einen Entschluss fassen.

Die gebräuchliche Formel in den Trauerfeiern heißt so oder ähnlich:

Wir sind nun aufgefordert unseren Frieden mit dem Leben und Tod der Verstorbenen zu machen.

Eine Alternative dazu gibt es nicht.

Während Sie das bei sich selbst bedenken und beschließen, werde ich der Verstorbenen einen Text aus den Gedichten von Erich Fried widmen:

Vielleicht
 
Erinnern
Das ist
Vielleicht
Die qualvollste Art
Des Vergessens
Und vielleicht
Die freundlichste Art
Der Linderung
Der Qual

 

Nachdem wir nun unseren letzten gemeinsamen Weg mit der Verstorbenen gegangen sind, betten wir nun

NN, geboren am XXX und gestorben am XXX zu ihrer letzten Ruhe.

Wir wollen nicht klagen, weil wir sie verloren haben, sondern dankbar sein dafür, dass wir sie unter uns hatten.

Wir wollen sie nun mit Blumen und Erde zudecken, damit niemand ihre Ruhe stört.

Ruhe in Frieden

© Uwe Peters

Trauerreden